Mehr privat, weniger Staat - Die Demontage der Vorzeigeschule in Schweden
Der FAZ Autor Alexander Schäfer ist in seinem im August 2013 erschienen Artikel „Mehr Schweden wagen“ begeistert und kann sich nur wundern, warum dieses Wundermodell sich nicht auch im deutschsprachigen Raum durchgesetzt hat.[1]
Dabei ist alles ganz einfach: Der Staat nimmt für jede/n SchülerIn etwa gleich viel Geld in die Hand. Doch statt alles in das starre, unflexible traditionelle Bildungssystem zu stecken, können Elterninitiativen, AnhängerInnen alternativer pädagogischer Konzepte oder auch Unternehmen neue Schulen gründen und um SchülerInnen werben. Extra Gebühren dürfen nicht eingehoben werden, das Konzept erlaubt nun allen, die Qualität von Privatschulen in Anspruch zu nehmen.
Neue pädagogische Konzepte und Spezialisierungen lassen sich so austesten und werden sich, bei Erfolg, entsprechend der Marktlogik durchsetzen. Die Familien können sich zwischen Walldorf- und Montessori-Pädagogik ebenso entscheiden wie zwischen einem frühen Schwerpunkt auf Wirtschaft, Theater oder Englisch, zwischen Ganztags- oder Halbtagsbetreuung oder für eine inkludierte Berufsausbildung zur Frisörin oder zum Frisör.
Die einzelnen Schulen stehen dabei untereinander im Wettbewerb um die besten LehrerInnen, nicht aber um die besten SchülerInnen; die Plätze müssen nach der Reihenfolge der Anmeldung vergeben werden, um eine adäquate Durchmischung zu gewährleisten und keine Eliteschulen zu schaffen.
In den frühen 1990er Jahren wurde dieses System der „Freien Schulen“ in Schweden eingeführt und das Land damit zum El-Dorado für marktorientierte SchulreformerInnen.[2] Schulen werben mit neuen Macbooks, iPads und allerlei anderen Gimmicks um die Gunst der Schülerinnen und Schüler, denn jede/r einzelne von ihnen bringt etwa 10.000 Euro pro Jahr für die Schulen.
Warum sich trotz des gleichen Betrags für alle SchülerInnen auch noch Gewinn mit privaten Schulen machen lässt, erklärt Cecilia Carnefeldt, die Vorstandsvorsitzende der Kunskapsskolan, einem kommerziellen Unternehmen, das 36 Schulstandorte betreibt, so: „Wir können [...] besser rechnen und sind effektiver als die staatlichen Schulen.“ Außerdem würden ihre SchülerInnen um etwa 12% besser abschneiden als der Landesdurchschnitt.[3]
Eine makellose Erfolgsgeschichte... die man allerdings mit dem Verlust von mehr als zwanzig Plätzen beim PISA-Ranking bezahlt hat.
Von den alternativen pädagogischen Konzepten zu Private Equity Firmen
Am Anfang war die Idee der Freien Schulen, alternative pädagogische Konzepte zu fördern und in der Konkurrenz der Schulstandorte zu einer besseren Bildung für alle zu kommen. Mittlerweile werden allerdings etwa 75 Prozent der Freien Schulen kommerziell betrieben.[4] In den letzten Jahren investierten auch internationale Privat Equity Firmen massiv ins schwedische Schulsystem. Diese Firmen geisterten vor einiger Zeit als „Heuschrecken“ durch die Medienlandschaft, weil sie die Kontrolle über Unternehmen übernehmen, um die Gewinne weitgehend abzuschöpfen und sich dann innerhalb von drei bis sieben Jahren wieder zurückzuziehen. In der Praxis bedeutet die kommerzielle Schulführung, dass von dem Geld, das der Staat überweist, auch die Rendite für die Kapitalgeber bezahlt werden muss. Und dass das Geld, das eigentlich für die Ausbildung der SchülerInnen überwiesen wird, letztlich etwa steuerschonend auf der Kanalinsel Guernsey ankommt.[5]
Die Konsequenzen dieses Geschäftsmodell kurzfristiger Renditen bei Schulen fasst Jonas Vlachos von der Universität Stockholm so zusammen: „[Die] Freien Schulen haben tatsächlich einen monetären Anreiz, die Qualität der Schulen zu senken.“[6]
Einsparungen bei den LehrerInnen
Einen Anreiz, in Qualität und Sein statt Schein zu investieren, gibt es nicht, weil aus dem Unternehmen „Schule“ möglichst kurzfristig der maximale Profit gepresst werden muss. Das „bessere Rechnen“ der Privaten führt bei den Freien Schulen dazu, dass sich eben nur 5,1 LehrerInnen pro 100 SchülerInnen in der Kunskapsskolan rechnen, im öffentlichen Bereich gibt es dagegen 8,2 LehrerInnen für die selbe Anzahl SchülerInnen.[7] Häufig sind es außerdem junge, unerfahrene LehrerInnen, die entsprechend weniger verdienen.[8]
Für den Observer Journalisten Richard Orange stellte sich die Lage in der Kunskapsskolan so dar: „In den 32 Schulen, die von dieser Firma in Schweden betrieben werden, lernen die SchülerInnen hauptsächlich alleine vor dem Computer. Einmal in der Woche bekommen sie Einzelunterricht, dazwischen Vorträge in Klassen mit bis zu 60 SchülerInnen. Wenn sie lieber Karten spielen oder plaudern, so können sie das tun.“[9]
Der Effekt von Konkurrenz im Bildungssystem
Aber vielleicht treffen sich in solchen pädagogischen Konzepten einfach nur ideal die Interessen von Bildung und Markt, und das bessere Betreuungsverhältnis an öffentlichen Schulen ist schlicht verschwendetes Geld. Natürlich bekommen viele Leute Bauchweh, wenn die Lizenz für eine Freie Schule plötzlich auf einer „Willhaben“-ähnlichen Seite verscherbelt wird.[10] Aber da der Staat ja für jede Schülerin und jeden Schüler gleich viel Geld ausgibt, kann es den SteuerzahlerInnen eigentlich egal sein, wofür das Geld ausgegeben wird, wenn nur die Fähigkeiten der SchülerInnen am Ende passen. Und die besseren Noten sieht die Bildungsunternehmerin Carnefeldt ja als Argument für ihr Unternehmen.
Jonas Vlachos von der Universität Stockholm spricht in seiner Studie zum Effekt der Freien Schulen dagegen von Noteninflation: Da in Schweden die Leistungen der SchülerInnen nicht zentral überprüft werden, geben die in Konkurrenz stehenden Schulen den SchülerInnen einfach immer bessere Noten, um als „bessere Schule“ zu gelten. Auch Gabriel Sahlgren, Direktor des marktliberalen Thinktanks Institute of Economic Affairs in London kommt zum gleichen Schluss.[11]
Vlachos untermauert seine Feststellung mit einer Studie über SchülerInnen, die von Freien Schulen in öffentliche Schulen wechselten und dort im Durchschnitt schlechtere Noten bekamen als jene, die auch vorher an öffentlichen Schulen waren.
Die Skepsis gegenüber den Erfolgsgeschichte der Freien Schulen wird auch durch internationale Leistungstests wie PISA genährt, wo Schweden sich von den Top Ten verabschieden musste und nun auf Platz 38 abgestürzt ist. Es gibt kaum mehr europäische Staaten, die schlechter sind.
Die Schlussfolgerung von Vlachos lautet, dass die schwedische Art von Wettbewerb im Schulsystem offensichtlich keine positiven Auswirkungen auf die Leistungen der Schülerinnen und Schüler hat.[12]
Ein Exportmodell mit kleinen Schönheitsfehlern
Natürlich weisen die kommerziellen Betreiber der Freien Schulen solche Zweifel an ihrem Erfolgsmodell entrüstet zurück und arbeiten weiter an ihren Expansionsplänen, vor allem nach Großbritannien. Doch im Gegensatz zu Alexander Schäfer hat man dort Ende Mai 2013, also knappe drei Monate vor dem Jubelartikel in der FAZ - ganz besonders genau nach Schweden geblickt: Der größte private Schulbetreiber, JB Education, mit mehr als 10.000 SchülerInnen, entschied sich dort nämlich während des Schuljahres von einem Tag auf den anderen für den Gang in den Konkurs. Während JB Education in den Jahren davor Millionengewinne an die Muttergesellschaft ausgeschüttet hatte, wurden bis zum Gang in den Konkurs Schulden von über hundert Millionen Euro angehäuft.[13] Die bevorstehenden schwachen Geburtenjahrgänge trübten die Gewinnaussichten, was prompt mit einem Rückzug aus dem Geschäft „Bildung“ in Schweden beantwortet wurde.
Die SchülerInnen, plötzlich in der Situation, dass ihre Schule bankrott ist, konnten in anderen Freien Schulen ungebracht werden – für die der Staat natürlich nochmal zahlte; eine davon wurde praktischerweise gleich von einem ehemaligen JB Education Verantwortlichen neu gegründet. Und natürlich beglich der Staat auch ausstehende Gehälter der LehrerInnen an den insolventen Schulen.[14]
Diese Privatisierung von Gewinnen und Sozialisierung von Verlusten ist kein Einzelfall: Eine neuere Untersuchung zeigt, dass 25% aller Freien Schulen rote Zahlen schreiben.[15]
Die Grünen wollen nun gemeinsam mit den Sozialdemokraten profitorientierte Unternehmen aus öffentlichen Bereichen wie Bildung und Pflege ausschließen. Doch die Konservativen haben vorerst nur einer besseren Kontrolle zugestimmt[16] und dafür die öffentlichen Ausgaben erhöht.[17]
[1] http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/campus/privatschulen-mehr-schweden-wagen-12452973.html
[2] http://www.theguardian.com/world/2011/sep/10/sweden-free-schools-experiment
[3] http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/campus/privatschulen-mehr-schweden-wagen-12452973.html
[4] http://www.heise.de/tp/druck/mb/artikel/39/39703/1.html
[5] http://www.heise.de/tp/druck/mb/artikel/39/39703/1.html
[6] http://www.theguardian.com/world/2011/sep/10/sweden-free-schools-experiment
[7] http://www.theguardian.com/world/2011/sep/10/sweden-free-schools-experiment
[8] http://www.theguardian.com/world/2011/sep/10/sweden-free-schools-experiment
[9] http://www.theguardian.com/world/2011/sep/10/sweden-free-schools-experiment
[10] http://www.thelocal.se/article.php?ID=38528
[11] http://www.thelocal.se/48806/20130702/
[12] http://www.theguardian.com/world/2011/sep/10/sweden-free-schools-experiment
[13] http://www.heise.de/tp/druck/mb/artikel/39/39703/1.html
[14] http://www.heise.de/tp/druck/mb/artikel/39/39703/1.html
[15] http://sverigesradio.se/sida/artikel.aspx?programid=2108&artikel=5622876
[16] http://sverigesradio.se/sida/artikel.aspx?programid=2108&artikel=5551269
[17] http://sverigesradio.se/sida/artikel.aspx?programid=2108&artikel=5649230
Georg Maißer arbeitet für die Grüne Bildungswerkstatt.